Wenn man als Eltern mit einem autistischen Kind, dass aus verschiedenen Gründen nicht zur Schule gehen kann, bei Lehrern, Fachpersonen und Behörden das Thema Onlinebeschulung anspricht, passiert es häufig, dass man auf Ablehnung stößt. Insbesondere für die Finanzierung zuständige Jugendämter haben immer wieder eine Begründung parat: Onlinebeschulung und fehlende soziale Kontakte mit Gleichaltrigen bewirken eine soziale Isolation. Soziale Kompetenzen werden nicht erlernt. Somit ist die Persönlichkeitsentwicklung gefährdet.
Immer wieder lese ich das auf Social Media. Bei einer (nicht repräsentativen) Befragung unter meinen Followern und in meiner Facebookgruppe ist das die am meisten gehörte Begründung, warum Onlinebeschulung nicht in Betracht gezogen wird.
Als Eltern steht man dem Ganzen meist hilflos gegenüber. Oft weiß man nicht, wie man reagieren soll, um dieses Vorurteil auszuräumen.
In diesem Artikel bekommst Du von mir starke Argumente an die Hand, die Dir helfen sollen, diese Vorurteile zu widerlegen. Denn die Begründung, die Webbeschulung wegen Fehlens sozialer Kontakte und dem Nichterlernen sozialer Kompetenzen abzulehnen, ist grundsätzlich falsch und zeugt nur von einem – vom Fehlen jeglichen Grundlagenwissens über Autismus und Wissen darüber, was Onlinebeschulung überhaupt erst ermöglicht.
Körperlich anwesend - sozial isoliert
Beschäftigen wir uns zuerst mit einem großen Denkfehler, den alle die Personen begehen, die Onlinebeschulung ablehnen, weil sie befürchten, dass ein Kind ohne eine herkömmliche Beschulung keine sozialen Kontakte mehr hätte.
Präsenzunterricht schützt autistische Kinder nicht automatisch vor sozialer Isolation!
Auch wenn ein Kind körperlich in der Schule anwesend ist, kann es dort sozial isoliert sei. Denn nicht sozial isoliert zu sein bedeutet viel mehr, als nur Menschen um sich herum zu haben. Es bedeutet, wirklich Teil einer Gemeinschaft, also sozial integriert, zu sein!
Und es setzt etwas Entscheidendes voraus: die Fähigkeit, soziale Signale zu erkennen, sie richtig zu deuten und darauf angemessen reagieren zu können. Genau in diesen Bereichen haben autistische Kinder große Schwierigkeiten. Durch ihr Verhalten, das von ihren Mitschülern oft nicht nachvollzogen werden kann, werden sie häufig sozial ausgegrenzt.
Die Bedingungen in den meisten Regelschulen (große Klasse, nicht klar strukturierte Interaktion, vor allem in den Pausen, überfordernde Gruppenarbeit im Unterricht) tragen ebenfalls nicht dazu bei, dass autistische Kinder sich sozial integrieren können. Im Gegenteil: Sie verstärken die Probleme noch.
Damit ist die These, dass die pure Anwesenheit im Unterricht vor sozialer Isolation schützt, also nicht haltbar.
Autistische Kinder lernen soziale Kompetenzen anders
Auch die Begründung, dass autistische Kinder in der Schule soziale Kompetenzen lernen, ist so nicht richtig. Das Lernen von sozialen Kompetenzen ist ein Kernthema des Autismus. Es unterscheidet sich massiv vom sozialen Lernen der neurotypischen Kinder, die durch ihr Verhalten voneinander lernen. Die Art und Weise, wie neurotypische Kinder miteinander kommunizieren, ist für autistische Kinder eher verwirrend.
Neurotypische Kinder erfassen unausgesprochene Botschaften und Signale intuitiv, also unbewusst, ohne darüber nachzudenken. Dazu gehören der Tonfall, aber auch die Körpersprache. Autisten dagegen haben damit Probleme. Mimik und Gestik können sie nicht intuitiv und automatisiert erfassen.
Soziale Interaktionen kosten ihnen viel Kraft, weil sie alles rational im Kopf durchdenken müssen. Das heißt, sie müssen soziale Kompetenzen wie eine neue Sprache erlernen. Schwer zu deutende Methapern (bildliche Umschreibungen) und Sprichwörter erschweren autistischen Kindern außerdem die Kommunikation mit Mitschülern. Das alles führt dazu, dass sie oft nicht richtig reagieren, einem Gespräch folgen können oder anderweitig auffällig sind.
Um nicht negativ aufzufallen, ziehen sich viele autistische Kinder zurück und versuchen, nicht anzuecken. Alles das kostet extrem viel Kraft und Energie. Wenn die Kids dann auch noch dem Unterricht folgen können, ist das vor diesem Hintergrund absolut bemerkenswert.
Die Art und Weise, wie in der Präsenzschule soziale Kontakte ermöglicht werden und wie miteinander interagiert wird, blockiert die soziale Entwicklung autistischer Kinder eher als dass sie hilft.
Sie verursacht häufig ein vermindertes Selbstwertgefühl durch Ausgrenzung und Mobbing (auch durch Lehrer) und kann zu autistischem Burnout, Ängsten und Depressionen führen.
Eine an die Bedürfnisse autistischer Kinder angepasste Beschulung mit klaren Rahmenbedingungen und gezielter Unterstützung, wie es eine Onlinebeschulung bietet, kann somit viel hilfreicher sein, um soziale Kompetenzen zu entwickeln.
Die Fähigkeit, (wieder) soziale Kontakte einzugehen, wird durch Onlinebeschulung erst ermöglicht
Ein autistisches Kind, dass nicht (mehr) regelbeschulbar ist, hat meist viel Ablehnung und Druck in der Schule erfahren. Es ist mit Situationen konfrontiert worden, die es permanent überforderten und letztendlich traumatisierten.
Oft werden unsere Kids von Schule zu Schule hin- und hergeschoben und damit immer wieder neuen Umständen ausgesetzt, die sie nicht bewältigen können. Statt Verbesserung zu erreichen, wird alles immer noch schlimmer gemacht, weil ihre Bedürfnisse nicht beachtet werden. Kein Wunder, wenn die Kids bei diesen schulischen Bedingungen weder Kraft noch Energie haben, sich auch außerhalb der Regelschule auf soziale Kontakte einzulassen.
Onlinebeschulung bedeutet individuell passende soziale Kontakte
Für autistische Kinder, die in einer Regelschule nicht zurecht kommen, ist es daher wichtig, passendere Formen für soziale Interaktion zu finden. Wenn also die Befürchtung fehlender Sozialkontakte geäußert wird, ist gerade die Onlinebeschulung eine passendere als die Regelschule!
Eine Onlinebeschulung findet in einem geschützten Rahmen statt. Dein autistisches Kind wird nicht wie in der herkömmlichen Schule in eine soziale Situation hineingepresst, die es überfordert und traumatisieren kann.
Die Onlinebeschulung schafft für das Kind die Möglichkeit, sich von dem überwältigenden und stark belastenden sozialen Druck der Regelschule zu erholen. Sie ermöglicht es, nach und nach wieder Vertrauen in den Kontakt zu anderen Menschen zu entwickeln. Denn das Kind muss erst wieder lernen, dass soziale Kontakte auch positiv und bereichernd sein können.
Meine Erfahrung mit fünf Jahren Onlinebeschulung unseres Sohnes an der web-individualschule und unzähligen Kontakten mit anderen Eltern webbeschulter Kinder belegen, dass die Kids an dieser Schule wieder langsam sowohl an das Lernen herangeführt werden, als auch an Kontakte jenseits der eigenen Familie. Hier kannst Du unsere Geschichte nachlesen.
Außerhalb des Onlineunterrichts schafft die Schule außerdem Möglichkeiten, mit Mitschülern in Kontakt zu treten. So gibt es verschiedene AG`s, denen man beitreten kann. Es gibt regelmäßige Online-Talkrunden zu verschiedenen Themen und eine Schülerzeitung. Aber auch die Lehrer fördern bei gemeinsamen Onlineaktivitäten ihrer Schüler den Austausch mit Mitschülern.
All dies sind passende Wege, um Sozialkontakte zu ermöglichen und Sozialkompetenz zu stärken. Denn so können autistische Kinder soziale Interaktionen üben, ohne überfordert zu werden.
Soziale Kontakte sind auch außerschulisch möglich

Nur weil ein Kind online beschult wird, heißt das nicht, dass es keine sozialen Kontakte in seiner Umgebung hat oder haben kann.
Denn Schule ist nicht die einzige Lebenswelt, die ein Kind in Kontakt mit anderen Kindern bringt.
Innerhalb der Familie, im Bekanntenkreis der Eltern, in therapeutischen Gruppen, in Vereinen (wenn möglich) usw. sind Kontakte mit anderen Kindern möglich.
Auch Onlinekontakte sind echte soziale Kontakte
Viele autistische Kinder finden über Onlineaktivitäten Freunde. Diese können ebenfalls sehr erfüllend sein und auch sehr stabil. Sie können über Jahre bestehen und genauso intensiv sein wie Offlinefreundschaften.
Und genau hier liegt der Irrtum von Fachpersonen die Onlinekontakte abwerten: Sie beurteilen die Qualität dieser Kontakte nach neurotypischen Maßstäben. Doch für Autisten sind diese nicht anwendbar.
Der Vorteil von Onlinefreundschaften besteht darin, dass die nonverbale Kommunikation über Mimik und Gestik wegfallen kann, wenn man sich nur sprachlich, also ohne Video, austauscht. Unser Sohn hat noch nie Wert darauf gelegt, seine Freunde zu sehen.
Ein weiterer großer Nutzen bei Onlinekontakten ist der, den ich täglich bei unserem Sohn wahrnehme: Er hat internationale Freundschaften. Nebenbei lernt er dadurch andere Kulturen kennen und kann Englisch wie seine Muttersprache.
Onlinekontakte sind also mindesten genauso wertvoll wie herkömmliche Kontakte. Nur weil sie nicht den neurotypischen Bedürfnissen entsprechen, dürfen sie keinesfalls abgewertet werden.
Eltern kennen ihr Kind am besten
Als Eltern kennen wir unser Kind am besten. Wir wissen, welche sozialen Bedürfnisse es hat und welche Situationen es überfordern. Wir sehen unser Kind in seiner außerschulischen Lebenswelt und sind in der Lage zu beurteilen, inwieweit eine Onlinebeschulung das Beste wäre für seine Bildungsentwicklung und seine sozialen Bedürfnisse. Diese Expertise dürfen Fachpersonen bei ihrer Entscheidung über eine passenden Beschulung ruhig respektieren und berücksichtigen.
Pauschalurteile helfen nicht, sie behindern nur
Lebenswelten von autistischen Kindern sind genauso verschieden und vielfältig wie von Nichtautisten. Eine pauschale Beurteilung der sozialen Teilhabe(-möglichkeiten) eines Kindes, die zudem nur gemessen wird an einer reinen Anwesenheit in der Regelschule, verbietet sich somit von selbst.
Auf eine Familie deshalb weiter Druck auszuüben, ihr Kind in Präsenz beschulen zu lassen, so dass sie nicht zur Ruhe kommen kann und dem Kind angemessene Bildung weiter vorzuenthalten, weil es nicht zur Regelschule gehen kann, ist daher aus meiner Sicht Kindeswohlgefährdung.
Lass Dich daher durch solche Pauschalaussagen nicht entmutigen. Nutze die Argumente in diesem Blogartikel, um überzeugend und klar darauf zu reagieren und dadurch das Wohl Deines Kindes zu schützen. So unterstützt Du Dein Kind dabei, die Bildungsform zu erhalten, die ihm auch die beste soziale Teilhabe ermöglicht.
Wenn Du als Mutter das Gefühl hast, mit all den Herausforderungen in Sachen Schulvermeidung allein dazustehen, begleite ich Dich gern dabei, passende Lösungen zu finden. Schau Dir mein individuelles Beratungsangebot hier an und entdecke, wie ich Dich unterstützen kann. Du musst nicht alleine kämpfen.
Ganz lieben Dank!!!! Danke für diese Worte!
Liebe Evi,
lieben Dank für Deinen Kommentar. Ich wünsche Dir ganz viel Erfolg.
Liebe Katrin Schellhorn,
ich habe den Blogartikel gerade förmlich aufgesogen. Du hast uns schon so viel mit deinen Beiträgen in Facebook, deinen Blogartikeln, deinem Leitfaden zur Webbeschulung und den Videos geholfen. Gerade das Thema Soziale Isolation war im letzten Plangespräch wieder Thema.
DANKE DANKE DANKE
DU BIST UNBEZAHLBAR!!!
Liebe Stefanie,
ganz lieben Dank für Deinen Kommentar. Ich bin ganz gerührt. Ich hoffe, die Argumente im Artikel helfen Dir, dieses Vorurteil auszuräumen.
Alles Liebe
Katrin